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Merkmale einer Kurzgeschichte am Beispiel erklärt

Kurzgeschichten verfügen über prägnante Merkmale.
Kurzgeschichten verfügen über prägnante Merkmale.
Wer Kurzgeschichten schreibt, weiß, dass sich die Merkmale dieser literarischen Form stark von denen anderer Kurzprosaformen unterscheiden und dass es einige Kriterien zu beachten gilt, um einen gelungenen Text zu verfassen.

Die besonderen Merkmale einer Kurzgeschichte

  • Die Kurzgeschichte ist eine Kurzprosaform, die im Gegensatz zu Verwandten wie beispielsweise Erzählungen, Märchen oder Novellen nur einen kleinen, jedoch prägnanten Ausschnitt einer Begebenheit darstellt, oft nur eine Szene. Darin ähnelt sie dem Gedicht.
  • Betrachtet man die Art und Weise, in der die Handlung an den Leser herangetragen wird, fällt auf, dass weder Ursache noch Folgen eine Rolle spielen. Vielmehr ist die ausgewählte Szene sprachlich und inhaltlich sehr konzentriert verarbeitet.
  • Zum Lesen benötigt der Leser meist nicht mehr als eine halbe Stunde.
  • Im Hinblick auf die Figuren geht der Verfasser von Kurzgeschichten sparsam vor. Im Grunde reicht eine Person, um die Absichten des Autors zu transportieren. Mehr als vier oder fünf Personen werden dem Leser nicht begegnen, wobei in diesem Fall die Mehrzahl als Statisten fungiert.
  • Eines der wesentlichen Merkmale der Kurzgeschichte ist der plötzlich einsetzende Beginn; der Sprung in die Handlung oder ein Konflikt geschieht unmittelbar.
  • Ebenso plötzlich, wie die Geschichte einsetzt, hört sie im Allgemeinen auf, das Ende bleibt offen. Eine Methode, die dem Leser dazu verhilft, sich gedanklich eine Weile mit dem dargestellten Thema zu beschäftigen.
  • Die Themen der Kurzgeschichten sind vom Autor meist mit kritischem Blick auf gesellschaftliche Zustände ausgewählt und sollen deren Auswirkung auf den oder die Protagonisten möglichst konzentriert darstellen.
  • Teilweise „rettet“ eine sogenannte Glückswendung den oder die Protagonisten (für dieses Mal) aus einer anscheinend ausweglosen Situation.

Berühmtes Beispiel für eine Kurzgeschichte

Die Form der Kurzgeschichte, die sich auch durch das aufblühende Zeitschriftenwesen im 19. Jahrhundert entwickeln konnte, hat sich bis heute erhalten. Ihre Merkmale findet der Leser in berühmten Beispielen wie dem Folgenden brillant umgesetzt.

  • In „Die Flut ist pünktlich“ von Siegfried Lenz steigt der Autor mit der Geschichte um eine gescheiterte Beziehung und eine neue Liebe unmittelbar in einen bestehenden Konflikt ein.
  • Das Personal ist reduziert, die beiden Figuren werden vom Autor nicht durch die Nennung ihrer Namen dargestellt.
  • Die Geschichte ist in einem Vorgang lesbar. Für ihre Lektüre benötigt man nicht mehr als eine Viertelstunde.
  • Schließlich erfährt die Geschichte in ihrem letzten Satz eine überraschende Wendung, die den Leser mit dem Ende alleine zurücklässt.
  • Die Geschichte beleuchtet in starker Konzentration - vielleicht als Zeichen der Zeit - die verfehlte Kommunikation zwischen Menschen, die einander sehr nahestehen.

Merkmale beim Selberschreiben beachten

  • "Nomen est omen." Auf die Kurzgeschichte trifft dieses Sprichwort besonders zu. Fassen Sie sich deshalb beim Schreiben einer Kurzgeschichte kurz, denn Ihr Werk sollte problemlos in einem Stück gelesen werden können. Für eine ausschweifende Handlung und eine umfangreiche Charakterentwicklung ist so schlicht kein Platz. Deshalb muss das Thema zur Form passen. Wer sich eine zu umfangreiche Geschichte vornimmt und dann einfach kürzt, läuft Gefahr, eine Zusammenfassung anstatt einer Kurzgeschichte zu schreiben.
  • Grundsätzlich unterscheidet sich der Schreibstil bei einer Kurzgeschichte nicht von dem eines Romans. Damit die namensgebende Kürze dennoch erreicht werden kann, greift man als Autor in der Regel nur eine kurze Episode auf. Sehr gut sichtbar ist dieses Vorgehen beispielsweise an Wolfgang Borcherts "Die Küchenuhr".
  • Diese Episodenhaftigkeit hat der Kurzgeschichte den Ruf einer Skizze in Worten eingebracht. Handelnde Figuren werden nicht ausführlich vorgestellt. Wesenszüge finden nur insoweit Erwähnung, wie sie für die Handlung wichtig sind. Das Gleiche gilt für den räumlichen und zeitlichen Rahmen. Diese bewussten Auslassungen gehören zu den prägenden Stilmitteln der Short Story und sollen den Leser zum Nachdenken animieren.
  • Zu den Merkmalen der Kurzgeschichte gehören auch ein unvermittelter Einstieg und ein abruptes Ende. Stellen Sie sich Ihre Geschichte wie den Gang durch eine Einkaufsmeile vor. Vielleicht werden Sie dort Gesprächsfetzen anderer Passanten hören, die Ihnen etwas über die aktuelle Situation der Sprechenden verrät, aber kein Wissen über deren gesamtes Leben vermitteln können. Die Kurzgeschichte gleicht einem zufällig mitgehörten Gespräch, weil sie nicht in einen größeren Rahmen eingebettet ist.
  • Verschiedene Schriftsteller haben mit ihrer Arbeit dafür gesorgt, dass noch weitere Merkmale mit einer Kurzgeschichte verbunden werden. So werden Kurzgeschichten meist nicht in der Ich-Perspektive geschrieben und handeln in vielen Fällen von Konfliktsituationen, wobei die Bewertung der Geschehnisse dem Leser überlassen wird. Viele Autoren greifen dabei auf aktuelle Probleme der Entstehungszeit zurück und machen alltägliche Figuren zu ihren Protagonisten.

Lassen Sie Ihrer Kreativität trotz dieser vermeintlich festen Grundlagen beim Schreiben freien Lauf. Vergessen Sie nicht, dass Kunst keinen Regeln folgt und sich ständig weiterentwickelt. Zur Übung können Sie natürlich versuchen, eine Geschichte am Reißbrett zu entwerfen. Wirklich spannend wird es aber erst, wenn Sie eigene Ideen einfließen lassen und einen eigenen Stil entwickeln.

Weiterer Autor: Ralf Winkler

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