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Die Bienenfabel - Werk und Analyse

Der Bienenstock dient bei Bernard Mandeville als Metapher für die damalige Gesellschaft Englands.
Der Bienenstock dient bei Bernard Mandeville als Metapher für die damalige Gesellschaft Englands.
Die Bienenfabel von Bernard Mandeville zeigt 300 Jahre vor unserer Zeit eine ganz neue Sichtweise auf den Motor unserer Gesellschaft. Diese ist noch heute aktuell. Aus dem in Versform geschriebenen Hauptwerk Mandevilles lassen sich einige überraschende Schlüsse ziehen.

Bernard Mandeville und sein Hauptwerk

1670 in Rotterdam geboren studierte Bernard Mandeville an der Universität von Leiden Philosophie und Medizin. Nach seiner Übersiedelung nach England praktizierte er als Arzt, vor allem für nervlich bedingte Leiden und Magenkrankheiten. Doch Weltruhm erlangte er in seiner Tätigkeit als Philosoph.

  • Er verfasste zahlreiche Abhandlungen in englischer Sprache, als sein bedeutendes Hauptwerk gilt aber "Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile". Viele seiner Aussagen stoßen bis heute auf Widerstand und Kritik. So sprach er sich unter anderem schon im beginnenden 18. Jahrhundert für eine legalisierte, staatlich kontrollierte Prostitution aus.
  • Sein zentraler Gedanke wird als das sogenannte Mandeville-Paradox bezeichnet. Dieses sagt kurz gefasst aus, dass der Nutzen des Individuums nicht dem gesellschaftlichen Nutzen entsprechen muss. So kann Lasterhaftigkeit und Egoismus im Endeffekt die Triebfeder einer funktionierenden Wirtschaft und Gesellschaft sein.
  • Mandeville selbst nannte sein umstrittenes Werk, die Bienenfabel, eine Satire. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Text aber als genaue Analyse sozialen Verhaltens. Er wollte aufzeigen, welche Triebkraft tatsächlich hinter der allgemein als wertvoll erachteten Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft steht, nämlich die Selbstsucht einzelner Individuen.
  • Damit widersprach er der gängigen Sichtweise zeitgenössischer Staatstheoretiker wie zum Beispiel Rousseau. Dieser erkannte die Selbstsucht als Triebfeder gesellschaftlicher Prozesse ebenso, nahm diese aber nicht wie Mandeville als Notwendigkeit in Kauf.

Mandeville verstarb 1733 in Hackney, England, und hinterließ einen Sohn und eine Tochter mit der Engländerin Ruth Laurence. Doch seine Bienenfabel überlebte ihn bis in die heutige Zeit.

Die Bienenfabel - Inhaltsangabe

Die letzte Version der unter anderem in Versform verfassten Bienenfabel erschien 1723. Mandeville hatte den Text bereits 1705 in einer frühen Version unter dem Titel "Der unzufriedene Bienenstock" veröffentlicht. Doch durch die harsche Kritik, die ihm entgegenschlug, sah er sich gezwungen, den Grundtext durch Dialoge, Anmerkungen und Erläuterungen zu ergänzen. Bis zu seinem Tod veröffentlichte er noch zwei Fortsetzungen des Textes.

  • In der Bienenfabel wird ein Bienenstock als sinnbildliche Metapher für die Gesellschaft Englands des 18. Jahrhunderts verwendet. Der in Versform verfasste Teil, die eigentliche Fabel, besteht seinerseits aus vier Teilen.
  • Mandeville beschreibt im ersten Teil das übliche Leben eines Bienenvolkes, das große Parallelen zum menschlichen Leben aufweist. Es gibt Macht und Reichtum, Kunst und Wissenschaft sowie einen großen Teil des Volkes, das sein Leben in Armut und mit schwerer Arbeit zubringt. Derweil schwelgen die Reichen im Luxus und können einfach nicht genug bekommen.
  • Es gibt unter ihnen korrupte Politiker, rechtsbeugende Juristen und das Leid ihrer Patienten ausnützende Ärzte. Doch all dieser Egoismus hält auch den Handel und den Fortschritt in Gang. Er sorgt für die essentielle Nachfrage, ohne die es keinen Handel und keine Entwicklung gäbe.
  • Im zweiten Teil kommt es zum Streit unter den Bienen. Jeder unterstellt dem anderen, dass dieser nur auf seinen Vorteil aus ist. Die Bienen verfallen dem Wahn, jeder wollte jeden betrügen, um noch einen Gewinn für sich herauszuschlagen. Am Ende dieser Streitereien steht der Ruf nach mehr Tugend.
  • Doch die Konsequenzen eines tugendhafteren Verhaltens sind nicht positiv, sondern negativ. Mandeville zeigt diese im dritten Teil auf. Die Bienen besinnen sich auf gesellschaftliche Werte wie Sparsamkeit und Selbstlosigkeit. Daraufhin versiegt der Handel, handwerkliche Innovationen geraten in Vergessenheit. Der Motor der Gesellschaft ist verloren, Reiche und Arbeiter wandern aus, der Bienenstock geht zu Grunde.
  • Im vierten Teil erfahren Sie die Moral von der Geschicht': Von Lastern frei zu sein, ist eine Utopie. Um ein prosperierender Staat zu werden, braucht es Stolz, Luxus und Betrug.
  • Nach dem gereimten Fabelteil gibt Mandeville in zahlreichen Anmerkungen an, auf welche Schriftsteller und Denker er sich bei seinem gedanklichen Konstrukt beruft, so zum Beispiel Hobbes. Des Weiteren gibt er zahlreiche erläuternde Beispiele aus dem Alltag des 18. Jahrhunderts, die er mit Scharfsinn und Witz genauestens analysiert.

Interpretationsansätze für die Bienenfabel

Was will Ihnen Bernard Mandeville mit seiner Bienenfabel sagen? Die hierarchischen Strukturen des Bienenstaates stehen für die Reichen und Armen der Gesellschaft Englands im 18. Jahrhundert. Mit dieser Metapher zeigt er Parallelen seiner Sichtweise auf die Gesellschaft und ihre Ökonomie zum Bienenstaat auf: Die Arbeit und Ausbeutung der Armen sowie die egoistischen Motive der Reichen führen zum Wohlstand des Staates. Fehlen sie, löst der Staat sich auf. So Mandevilles Aussage kurzgefasst.

  • Im zunächst noch funktionierenden Bienenstaat verkehren alle Berufe, die eigentlich auf Altruismus gegründet sind, ihr Ziel ins Gegenteil. Ein Arzt kann nur an einem Kranken Geld verdienen, also hat er kein Interesse daran, den Kranken tatsächlich zu heilen. Hinter seinem Beruf steht tatsächlich nicht der Altruismus, sondern Egoismus.
  • Das Laster, das hinter einer funktionierenden Ökonomie steht, ist das immer-mehr-Wollen. Handel und Fortschritt benötigen die dadurch entstehende ständige Nachfrage nach Neuem und Besserem. Dabei geht es den Menschen nicht um Werte wie Gerechtigkeit oder Gesundheit, sondern einzig und allein um mehr Privatbesitz, sprich Geld.
  • Mandeville spielt daraufhin in seiner Bienenfabel durch, was geschieht, wenn die Menschen doch nach Tugenden, statt nach privatem Laster streben. Es gibt kaum noch Nachfrage. Es ist kein Bedarf an Fortschritt vorhanden. Handel und Handwerk versiegen, wenn alle Menschen ein bescheidenes Leben leben und mit dem zufrieden sind, was sie haben. Damit ist für Mandeville das private Laster nicht nur Voraussetzung für Ökonomie und Wohlstand, sondern auch für menschliche Kultur überhaupt.
  • Bernard Mandeville akzeptiert Egoismus und Selbstbereicherung als menschlich. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, will er diese Grundeigenschaften der Individuen jedoch nicht ändern. Denn sie sind für ihn die Grundvoraussetzung dafür, dass gesellschaftlicher Fortschritt möglich ist. Auf diese Weise machte er den ersten Schritt zu einem Wandel in der Staatstheorie vom Handelskapitalismus zum Liberalkapitalismus.
  • Doch Mandeville zeichnet keine reine Negativ-Utopie. Der Wettbewerb, der durch Angebot und Nachfrage entsteht, wird am Ende auch für Recht und Ordnung sorgen. Dieser wird zu überbordendem Verhalten Grenzen setzen.

Bernard Mandeville überschritt mit seiner Bienenfabel eine Grenze und bereitete den Weg für neue Staatstheorien. Bedeutende Staatstheoretiker wie Adam Smith übernahmen einige seiner neuen Ideen und Sichtweisen. Somit hat sein Hauptwerk bis heute seine Berechtigung und kann Ihnen die Triebkräfte unserer Gesellschaft verständlicher machen. Zumindest aber regt es zum Nachdenken an.

 

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