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Wiener Moderne - die Epoche anschaulich erklärt

Die Donaumetropole - Zentrum der Wiener Moderne
Die Donaumetropole - Zentrum der Wiener Moderne
Im Vergleich zu anderen Epochen umfasst die Wiener Moderne nur einen recht kurzen Zeitraum, hat aber dennoch viele wichtige Werke hinterlassen. Um die Literatur der Wiener Moderne zu verstehen, sollten Sie einige grundlegende Informationen zu den gesellschaftlichen Bedingungen jener Zeit haben.

Historischer und gesellschaftlicher Hintergrund

  • Die Epoche der Wiener Moderne lässt sich etwa auf den Zeitraum zwischen 1890 und 1910 eingrenzen. Kulturelles Zentrum jener Strömung ist das Wien der vergehenden Donaumonarchie. Dank unzähliger Einwanderer vereint der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn eine Fülle an Nationen und Sprachen. Deutsche, ungarische, tschechische, serbische, kroatische und slowenische Einflüsse sowie zunehmende Militarisierung sorgen für ein beständiges Spannungsfeld in Politik und Gesellschaft, das auch das kulturelle Leben nachhaltig beeinflusst.
  • Die literarischen Phasen kennen Sie vielleicht auch unter verschiedenen Bezeichnungen wie Jahrhundertwende, Symbolismus, Dekadenz und Jugendstil. Der Ausdruck "Wiener Moderne" wird als Oberbegriff genutzt und konzentriert sich auf das literarische Schaffen in der Hauptstadt.
  • Die Schwelle zum 20. Jahrhundert ruft ambivalente Stimmungen hervor: Die positive Bezeichnung "Jahrhundertwende" symbolisiert die optimistische Aufbruchstimmung in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dagegen steht der Begriff Fin de Siècle (französisch für "Ende des Jahrhunderts") für eine melancholische Weltsicht, die den Niedergang des 19. Jahrhunderts in den Fokus rückt.

Themen der Wiener Moderne

  • Die politische Instabilität überträgt sich auf das Lebensgefühl der Künstler, die die widersprüchlichen Gefühle aus Enthusiasmus und Zukunftsangst als Inspirationsquelle nutzen. Viele Werke der Wiener Moderne sind geprägt vom Dekadenzgedanken: Tod und Zerfall werden ausgiebig thematisiert und in ästhetische Formen gebracht. Die Autoren widmen sich vermehrt dem Innenleben und der Psychologie. In vielen Texten steht die Identitätskrise und die Hilflosigkeit des Subjekts angesichts der unsicheren Umstände im Vordergrund.
  • Wichtigen Anteil an diesen neuen Themen hat auch Sigmund Freud, dessen "Traumdeutung" 1899 erscheint. Freud begründet die Tiefenpsychologie, die sich mit der Erforschung des Unbewussten befasst. Damit legt er eine bedeutende Grundlage für die zahlreichen Werke der Wiener Moderne, die die Ergründung von Seelenzuständen, Persönlichkeitskrisen, Verzweiflung und Unsicherheit ins Zentrum stellt.
  • Ein weiteres Schlagwort neben Fin de Siècle und Dekadenz lautet "L'art pour l'art", französisch für "Kunst um der Kunst willen". Die Künstler dieser Ansichtsweise fordern, dass die Kunst keinem äußeren Zweck dienen solle, sondern sich selbst genügen müsse. Vor allem der Symbolismus benutzt zunehmend Chiffren, die nur einem kleinen Kreis Eingeweihter verständlich war und Außenstehenden fremd blieb. Auch in diesem Gedanken finden Sie das Kernthema der Isolation wieder.
  • In den Werken der Wiener Moderne begegnen Sie häufig dem inneren Monolog. Dieses Stilmittel bezeichnet die direkte Rede der Figur, die in seinen Gedanken abläuft oder zumindest nur von ihr selbst bemerkt wird.
  • In dieser Epoche gewannen die Kaffeehäuser besondere Bedeutung. Viele Künstler und andere Intellektuelle trafen sich regelmäßig in den Cafés, um miteinander zu diskutieren, Sozialstudien zu betreiben und kleine Texte zu entwerfen, die oft fragmentarischen Charakter besitzen. Vor allem Wien und Prag waren bekannte Zentren der sogenannten "Kaffeehausliteratur".
  • Die Wiener Moderne ist als Gegenströmung zum Naturalismus zu verstehen, der etwa den Zeitraum zwischen 1880 und 1990 umfasst. Der Naturalismus steht dem Fortschritt positiv gegenüber und legt Wert auf eine möglichst exakte Abbildung der Wirklichkeit.

Wichtige Autoren und Werke der Epoche

  • Eine der zentralen Gestalten dieser Epoche ist der Österreicher Arthur Schnitzler (1862-1931). Symptomatisch für sein Schaffen sind beispielsweise die Erzählungen "Leutnant Gustl" und die "Traumnovelle". Die Novelle "Leutnant Gustl" ist eines der ersten Werke, das durchgängig im inneren Monolog gestaltet ist. Anhand des Protagonisten werden die Schwachheiten des Militärs aufgedeckt und kritisch beleuchtet. Die "Traumnovelle" erzählt von der Ehe eines Arztes und seiner Frau, die nur an der Oberfläche harmonisch ist. Geheime Wünsche und sexuelle Begierden lassen diese Fassade bröckeln. Die Hauptfigur erlebt auf einer düsteren Reise durch die Nacht allerlei bizarre und erotische Situationen, die ihn zugleich seinen fragilen Seelenzustand erkennen lassen. Vielleicht kennen Sie Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" - dabei handelt es sich um die Filmadaption.
  • Robert Musil (1880-1942) ist neben seinem unvollendeten Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" vor allem für "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" bekannt. Der Roman um den jungen Törleß spielt in einem strengen Internat, in dem drei Jungen einen Schulkameraden systematisch quälen und erniedrigen. Die Schwierigkeiten der Ich-Findung, gesellschaftlicher Druck und emotionale Zerrissenheit sind die Hauptthemen des Werkes.
  • Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) verfasste überwiegend Gedichte, Dramen und Libretti. In seinen Werken spielen psychoanalytische Erkenntnisse und Ästhetizismus eine große Rolle.

Stilrichtungen in Architektur und Kunst

  • Die wichtigste Vereinigung bildender Künste zu dieser Zeit war die Wiener Secession. Sie wurde am 3. April 1897 von fünfzig Mitgliedern gegründet. Vorsitzender war der Maler Gustav Klimt, der zugleich einer der bekanntesten Vertreter der Epoche ist.
  • Gustav Klimt (1862-1918) ist dem Jugendstil zuzuordnen und gilt noch heute als einer der populärsten Maler Österreichs. Der Name des Stils ist der Münchner Kulturzeitschrift "Jugend" entlehnt. Kennzeichen dieser Richtung sind vor allem geschwungene Formen und eine ausgeprägte Ornamentik.
  • Klimt präsentiert in seinen Werken häufig erotische Motive. Natur und Frauen sind immer wiederkehrende Themen, die dekorativ in Szene gesetzt werden. Klimts Gemälde zeichnen sich durch Farbenpracht, viele verspielte Details und abstrakte Muster aus; häufig dominieren Goldtöne das Bild.
  • In der Architektur des Jugendstils ist vor allem der Verzicht auf strenge Symmetrie auffallend. Eine unmittelbar erkennbare Funktionalität ist der Grundgedanke hinter der Bauweise. Gebäude sollen individuell den jeweiligen Bedürfnissen angepasst sein, statt sich statisch an feste Traditionen zu halten. Als Materialien werden bevorzugt Eisen, Stahl und Glas eingesetzt, die im Zuge der Industrialisierung Verbreitung fanden.
  • Die Wiener Moderne ist auch die Zeit des Expressionismus. Diese Stilrichtung nutzt einen freien Umgang mit Farben und Formen. Nicht die realitätsgetreue Abbildung, sondern die Darstellung von subjektiven Eindrücken ist das Ziel der Künstler. Zur Zeit des Fin de Siècle ist Egon Schiele (1890-1918) einer der bedeutendsten Maler. Der Tod ist eines seiner zentralen Motive, das er immer wieder auf neue Weisen in seinen Bildern verarbeitet. Schieles Bilder sind meist von dunklen Farben geprägt und vermitteln eine düstere, pessimistische Atmosphäre. Die dargestellten Menschen erscheinen oft grotesk verzerrt, abgemagert und mit leidender Mimik.

Musik des Fin de Siècle

  • Auch die musikalischen Strömungen der Wiener Moderne sind geprägt durch das intensive Spannungsverhältnis zwischen Todessehnsucht und Dekadenz, zwischen Tradition und Aufbruchstimmung. Aus vielen Liedern spricht eine melancholische Grundstimmung, eine Mischung aus Sehnsucht und Machtlosigkeit.
  • Zu den zentralen musikalischen Vertretern gehört der Komponist Gustav Mahler (1860-1911). Schon zu Lebzeiten war sein neuartiger Stil umstritten - Mahler setzte gerne originelle Instrumente wie Kuhglocken ein und arbeitete oft mit auffälligen Kontrasten und Stilbrüchen.
  • Neben Mahler ist Arnold Schönberg (1874-1951) ein berühmter Komponist der Wiener Moderne. Sein Schaffen gilt als wegweisend für die Richtung der "Neuen Musik", die sich etwa ab 1910 verbreitete. Die erste Phase der Neuen Musik ist dem Expressionismus zuzuordnen. Wie in der Malerei, sucht auch die Musik Empfindungen des Künstlers so unmittelbar wie möglich darzustellen. Rasche Tempowechsel, ausgefallene Instrumente, freier Umgang mit dem Rhythmus und kontrastreiche Lautstärken sind die Kennzeichen dieser Strömung.
  • Schönberg und seine Schüler stehen zudem für den Einsatz der Atonalität. Atonalität bedeutet die Loslösung vom traditionellen Dur-Moll-System - durch diese neu gewonnene Freiheit können Töne und Klänge beliebig miteinander verbunden werden. Schönbergs "Drei Klavierstücke, op. 11" sind eines der markantesten Beispiele für diese Weiterentwicklung.
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