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Intertextualität - eine Definition

Intertextualität bezeichnet die Beziehung zwischen Texten.
Intertextualität bezeichnet die Beziehung zwischen Texten. © Dieter_Schütz / Pixelio
Der literaturwissenschaftliche Begriff der Intertextualität bezeichnet die Bezugnahme eines Textes auf einen anderen. Hier finden Sie eine schlüssige Definition.

Intertextualität benennt das Verhältnis, das Texte zueinander einnehmen. In der Literaturwissenschaft ist dies seit den 1970er-Jahren ein häufig verwendeter Begriff.

Intertextualität - eine allgemeine Definition

  • Zuerst einmal bezeichnet Intertextualität in der Literaturwissenschaft eine konkrete Bezugnahme eines (literarischen) Textes auf einen anderen (literarischen) Text. Dies kann beispielsweise in Form eines Zitates, einer Anspielung oder durch die Übernahme eines Motives, einer Landschaft o.ä. geschehen.
  • Stellen Sie sich vor: Es gibt einen Prätext, also einen bereits vorhandenen Text. Von diesem hat ein Autor Kenntnis und er nimmt in seinem Werk Bezug darauf: Sein Text wird dann Posttext genannt. Für das Verständnis eines Textes ist es daher für Sie wichtig, dass Sie die Bezugnahmen darin erkennen.
  • Beachten Sie: Intertextualität ist keine Erscheinungsform moderner Literatur, auch wenn der Begriff erst in den späten 60er-Jahren geprägt wurde. Schon in der Antike haben sich Texte aufeinander bezogen. Bei fast jedem Autor haben bereits gelesene Texte Einfluss auf die eigene Textproduktion.
  • Der Begriff der Intertextualität wurde in der Literaturwissenschaft seit den 1970er-Jahren noch umfassender verwendet. Nach dieser Definition ist kein autonomer Text mehr möglich, da jegliche Literatur beispielsweise durch andere Texte, Traditionen oder gesellschaftliche Ereignisse miteinander verwoben sei. Nach dieser Theorie ist jede Textproduktion lediglich ein Teil einer umfassenden kulturellen Struktur.

Beispiele für Intertextualität

Damit Sie die Definition der Intertextualität besser verstehen können, ist es ratsam, diese anhand eines Beispiels nachzuvollziehen. Ein Werk mit vielen intertextuellen Bezügen ist Johann Wolfgang Goethes "Die Leiden des jungen Werther" von 1774.

  • In diesem Briefroman schreibt Werther wiederholt von seiner Lektüre des Ossian. Gemeint sind die „Gesänge Ossians“, eine fiktive Sammlung alter gälischer Heldenmythen von James Macpherson aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.
  • Werther fühlt sich von diesem „Dichter der Vorzeit“ (Projekt Gutenberg; Brief 26. November 1772) stark angezogen: „Welch eine Welt, in die der Herrliche mich führt! Zu wandern über die Heide, umsaust vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln die Geister der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt.“ (Projekt Gutenberg; Brief 12. Oktober 1772) Werther sieht in den Gesängen Ossians deutliche Parallelen zu seinem eigenen Leben. Seine empfindsame Melancholie wird durch diese Lektüre noch gesteigert.  
  • Fragen Sie sich: Welche Funktion hat Werthers Ossian-Lektüre? Warum wird in dem Werk dieser Bezug hergestellt? Auffällig ist, dass zwischen den nordischen, archaischen Heldenliedern und dem Leben des empfindsamen Werthers ein deutlicher Unterschied besteht. Trotzdem überträgt er das Gelesene unreflektiert auf seine eigene Situation und wirkt dabei fast weltfremd. Werther hat mit den Helden des Ossian wenig gemein. Trotzdem bestärkt ihn diese Literatur in seinen eigenen schwärmerischen Empfindungen, die schließlich zum Selbstmord führen. Dadurch werden also Werthers einseitige und gefährliche Überbewertung seiner Gefühle und die fehlende Reflexion seiner Lage verdeutlicht.
  • Ein weiteres Beispiel für die Definition von Intertextualität findet sich am Ende des Romans. Nach dem Selbstmord Werthers wird dessen Zimmer näher beschrieben: „Von dem Weine hatte er nur ein Glas getrunken. ‚Emilia Galotti‘ lag auf dem Pulte aufgeschlagen.“ (Projekt Gutenberg; Nach Eilfe) In dem Drama „Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim Lessing tötet sich die Protagonistin am Ende auch selbst – genau wie Werther. Doch Emilia hatte ganz andere Gründe für diese Entscheidung. Damit wird noch einmal deutlich ausgedrückt, dass Werther wiederholt literarische Vorgaben als Vorbild für sein eigenes Leben verwendet und dabei unüberlegt handelt.
  • Auch Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ wurde wiederum als Prätext verwendet. Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ von 1972 bezieht sich beispielsweise explizit auf den Roman Goethes.

Sie sehen also: Das Erkennen der intertextuellen Bezüge ist immer wichtig für die Interpretation. Fragen Sie sich deshalb immer: Warum wird dieser Bezug zu einem anderen Werk hergestellt? Wie wird der Bezug übernommen? Dies kann beispielsweise in Form von Ironie, Zustimmung, Übertreibung, Bewunderung oder durch die Weiterführung des Gedankens geschehen. Nur wenn Sie diese Zusammenhänge verstehen, können Sie den Text richtig deuten.

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