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Günter Kunert Parabeln - Übersicht

Eine geometrische Parabel kann auch schwer zu interpretieren sein.
Eine geometrische Parabel kann auch schwer zu interpretieren sein.
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil - aber nur, wenn er auch versteht, was er da liest. Mitunter muss dieses Verständnis erarbeitet werden, wie z. B. bei der literarischen Form der Parabel und vielleicht besonders bei den Parabeln Günter Kunerts.

Da Parabeln wie viele andere literarische Werke immer vor dem Hintergrund des Lebens ihrer Verfasser zu interpretieren sind, hier zunächst eine kurze Übersicht zu Kunerts Leben:

Günter Kunert - ganz kurz skizziert

  • Günter Kunert ist 1929 in Berlin geboren, wo er auch die Volksschule besuchte. Da Kunerts Mutter Jüdin war, durfte er nach den nationalsozialistischen Unrechtsgesetzen kein Gymnasium besuchen.
  • Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges konnte Kunert in Ost-Berlin Grafik studieren, er brach jedoch das Studium nach einigen Semestern wieder ab.
  • Kunert engagierte sich politisch, er trat 1948 der SED bei, die 1946 durch Zwangsvereinigung von KPD und SPD gebildet worden war.
  • Er lernte führende Künstler der DDR kennen, z. B. Johannes R. Becher und Bertolt Brecht, interessierte sich jedoch immer auch lebhaft für die andere Seite Deutschlands, so stand er mit dem westdeutschen Kollegen Nicolas Born bereits seit den 1960er Jahren in Briefkontakt und war ihm freundschaftlich eng verbunden.
  • Auch andere Sprach- und Lebensräume wusste Kunert trotz der in seinem Teil Deutschlands eingeschränkten Auslandskontakte zu erkunden: 1972 ging er kurzzeitig als Gastdozent an die University of Texas nach Austin, 1975 lehrte er eine Zeit lang an der englischen University of Warwick.
  • Als Kunert 1976 einer der Ersten war, der die Petition unterzeichnete, mit der sich die ostdeutsche Intelligenz gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns auflehnte, wurde ihm die Mitgliedschaft in der SED entzogen.
  • Das war für Kunert das endgültige Zeichen zum Aufbruch, 1979 konnte er ein mehrjähriges Visum erhalten, das ihm die Ausreise aus der DDR ermöglichte.
  • Günter Kunert ließ sich damals mit seiner Frau im norddeutschen Dörfchen Kaisborstel nieder, wo er immer noch als Schriftsteller tätig ist.
  • Seitdem beschäftigt sich Günter Kunert umfassend mit dem Verhältnis der beiden deutschen Staaten und später der wiedervereinigten Staatsteile zueinander und mit der Literatur, die diese komplizierte Wechselbeziehung hervorbringt und betrachtet.

Die Parabeln von Günter Kunert

  • Viele literarische Werke Kunerts sind bisher erschienen, Bücher mit Gedichten, Erzählungen und Romanen und andere Formate.
  • Sie tragen Titel wie Aufzeichnungen, Erinnerungen, Reflexionen, Aphorismen, Notate, Aufsätze, Essays, Reden oder einfach Kurzprosa, vor allem hier finden sich Günter Kunerts Parabeln.
  • Um eine Übersicht über die Parabeln von Günter Kunert bekommen zu können, muss man natürlich zunächst eine Vorstellung davon bekommen, was eine Parabel überhaupt ist: Parabel wird eine ganz bestimmte Form von Literatur genannt, eine ziemlich kurze, aber dabei lehrhafte Erzählung.
  • Die Parabel ist mit Fabel, Gleichnis und Beispiel verwandt und sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Fragen über ethische und moralische Grundsätze aufwirft, die in der Parabel einfacher begreiflich gemacht werden sollen, indem sie in jedem vertraute Lebensbereiche übertragen werden.
  • Es gibt immer ein Geschehen, das im Vordergrund steht, die Ereignisse auf dieser sogenannten Bildebene stellen dem Leser lediglich symbolische "Bilder" vor, die ihn zum Nachdenken bringen sollen.
  • Bei Günter Kunerts Parabel "Donnerstag, zehnter April" ist die Bildebene z. B. der Tagesablauf des Schriftstellers bzw. Erfinders, den er selbst erzählt. Bei der Parabel "Das Holzscheit" ist die Bildebene das Treffen des Fremden mit den Bewohnern der Hütte und dessen Erläuterung der Wahrheit am Beispiel des Holzscheits.
  • Wie bei einer geometrischen Parabel, die aussieht wie ein unten abgerundetes "V", gibt es bei einer Parabel jedoch zwei "Äste": Der zweite Ast ist die Sachebene, hier soll der Leser erkennen, welche allgemeinen Lehren angesprochen werden, die er auf sein Leben anwenden könnte. Meist gibt es zwei davon, eine Lehre im engeren und eine im weiteren Sinn.
  • Bei der Donnerstag-Parabel könnte die engere Lehre lauten: "Mit einem regelmäßigen Tagesablauf gestaltet sich das Leben einfacher", und die weitere Lehre: "Kreativität ist gut, aber man darf nicht nur träumen, sondern muss auch etwas tun". Beim "Holzscheit" geht es darum, dass die Wahrheit vergänglich ist, aber auch darum, dass die Wahrheit durch Fortschritt in der Wissenschaft verändert wird, also wandelbar ist.
  • Natürlich gibt es noch viele andere Interpretationsmöglichkeiten, manche Parabeln enthalten verschiedene Bedeutungsebenen - wie Kunerts Parabel "Das Holzscheit", 1972 in der DDR geschrieben, in der es auch um die Ausgrenzung der Juden in diesem Staat ging, an dem Kunert immer mehr auszusetzen hatte, und um das Überleben des Judentums.


Parabeln gehören mit ihren Interpretationsmöglichkeiten wohl mit zu den spannendsten Werken, die uns Schriftsteller vorlegen können, und so ist es auch kein Wunder, dass einige unserer bekanntesten und berühmtesten Werke in der Form der Parabel verfasst sind, z. B. Friedrich Dürrenmatts "Physiker", "Andorra" von Max Frisch, Franz Kafkas "Vor dem Gesetz" und Friedrich Nietzsches "Also sprach Zarathustra".

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